Wie ein Kind tatsächlich das Leben völlig auf den Kopf stellt - und sich das gar nicht mal schlecht anfühlt.

Vaterfreuden: „Es ist großartig, Elternzeit haben zu können“

von am Donnerstag, 11 März 2021
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„Zieh bitte die Hose hoch!“ Erschrocken und reflexartig blicke ich an mir herab. Wie bitte? Die Jeans sitzt angegossen wie eh und je, wer erlaubt sich da bitte diesen schlechten Scherz? Ich bin kurz erleichtert, da heißt es wieder: „Zieh bitte jetzt die Hose hoch!“ – die Stimme klingt freundlich, aber bestimmt und direktiv. Sie gehört meinem Kollegen Sebastian Pech und glücklicherweise meint er nicht mich, sondern seine Tochter Emma, die in der Videokonferenz gerade halbentblößt durch die Kulissen der Pech´schen Wohnung läuft.

Pandemiezeit ist Videokonferenzzeit und das seit mittlerweile einem Jahr. Ganz unfreiwillig nimmt man immer mal wieder am Familienleben der anderen teil. Corona-Hunde toben sabbernd durchs virtuelle Rechteck des Monitors, Katzen stolzieren über die Schreibtische, gelangweilte Kinder wirbeln ihren Müttern durch die Haare oder die Lebensgefährtin des Gesprächspartners grüßt kurz winkend in die Kamera: Servus, schön Dich zu sehen!

Sebastian Pech ist also ein Kollege, genauer gesagt einer der Social Media Manager bei DATEV, und wenn man sich einmal selbst dem Thema „unconcious bias“, also unbewusste Voreingenommenheit, stellen möchte, ist er ein geradezu ideales Trainingsobjekt. Wir kennen uns etwa seit eineinhalb Jahren und auch ich habe mich vom ersten Eindruck leiten lassen: Tätowierte Arme, nimmt selten ein Blatt vor den Mund, sehr direkt und nicht immer diplomatisch, eher laut als leise, nicht alles, was er sagt, ist lustig. Alter. Solche Typen können echt anstrengend sein.
Nach den ersten Wochen Clash of Cultures der Sorte Klassenclown (=er) trifft Megaspießer (= ich) haben wir uns seltsamerweise sehr schnell einander angenähert. Opposites attract. Heute schätze ich „Sebbo“, wie ihn fast alle nennen, für das: Er nimmt selten ein Blatt vor den Mund, ist sehr direkt und nicht immer diplomatisch, eher laut als leise, nicht alles, was er sagt, ist lustig. Aber doch sehr vieles. Er ist absolut kompetent, schnell, wahnsinnig hilfsbereit und ein richtig guter und weicher Kerl, den ich unheimlich gerne mag. Als Fan des 1.FC Nürnberg ist er leidensfähig und wenn man ihn mal seriös erleben möchte, muss man ihn dabei beobachten, wie er eine Jugend-Fußballmannschaft gemeinsam mit einem weiteren Kollegen trainiert. Wenn man seine softe Seite hervorkitzeln möchte, muss man ihn nur auf seine Tochter Emma ansprechen, in die er unsterblich verliebt ist. Seinen Whats-App-Status ziert seit mittlerweile fast drei Jahren der herzumrandete Name seiner Erstgeborenen.

Wie ist das so, mit Kind zu Hause, gerade in der Pandemie? Wie hat er seine Elternzeit erlebt? Was verändert ein Kind alles und wie kriegt man dessen Erziehung trotzdem halbwegs noch mit dem Beruf in Einklang? Darüber haben Sebbo und ich uns unterhalten.

Erinnerst Du Dich an den Moment, als bei Deiner Frau die Wehen eingesetzt haben und ihr ins Krankenhaus gefahren seid?

Ich erinnere mich noch recht gut daran, weil keiner von uns es erst so richtig gemerkt hat und es noch zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin war. Ich war abends noch im Fitnessstudio, bin gegen 20 Uhr nach Hause gekommen und meine Frau meinte zu mir, dass sie Bauchschmerzen hätte und sich nicht so ganz gut fühlt. Wir haben uns aber nichts weiter dabei gedacht. Wir wussten aus dem Geburtsvorbereitungskurs: Wenn man das erste Mal Eltern wird, kommen die Leute eigentlich immer viel zu früh ins Krankenhaus und sind dazu noch komplett unvorbereitet. Wir wollten auf keinen Fall zu denjenigen gehören, die in die Klinik fahren, dort fünf Stunden rumsitzen und dann wieder nach Hause geschickt werden, weil es einfach noch viel zu früh ist. So gegen Mitternacht haben wir dann doch in aller Ruhe mal ein paar Vorbereitungen getroffen – im Nachhinein völlig surreal – und sind dann in Richtung Krankenhaus aufgebrochen. Wir sind dann direkt in den Kreißsaal gekommen und dort hieß es auch: Das ist jetzt aber allerhöchste Eisenbahn hier. Ich sollte dann zur Patientenanmeldung, um uns anzumelden und als ich dort angekommen bin, hieß es: Wäre gut, wenn Sie gleich wieder in den Kreißsaal gehen, wenn Sie das jetzt nicht verpassen wollen. Tja, und dann ging alles wirklich sehr schnell.

Mit einem Kind tritt ein neuer Mensch ins Leben, der Teil von Dir selbst ist. Was ändert das – oder ändert sich gar nicht so viel?

Ich habe für mich festgestellt: Alles, was alle Leute über das Thema sagen, ist einfach wahr. Sämtliche Klischees, das, was man von anderen Leuten mit Kindern oder den eigenen Eltern hört. Es ändert sich wirklich einfach alles. Allein schon die zur Verfügung stehende Zeit, der Fokus verschiebt sich komplett auf das Wohlergehen des Kindes und dass man diesem das Beste bieten möchte.

Inwieweit hat Emma Dich und / oder Dein Leben ganz persönlich verändert?

Was schon so bleibt: Man verliert ja nicht den Menschen, der man vorher war. Interessen, Hobbys, Leidenschaften, die man hat, bleiben bestehen. Ein klassischer Konflikt, der entsteht, ist wegen des Zeitmanagements, also wie bringt man das miteinander in Einklang. Ich bin selbst Fußballtrainer und gern selbst ins Stadion gegangen und es fühlt sich dann schon komisch an, an diesen Stellen zurückzutreten und da Zeit freizuschaufeln. Aber man gewinnt ja auch andere Zeit, die man mit dem Kind verbringt und diese Zeit ist eigentlich viel cooler. Trotzdem hat man manchmal so ein Gefühl, dass man auch das andere gerne machen würde und hinterfragt dann die eigene Priorisierung.

Meine Frau und ich, wir sind generell relativ entspannte Eltern, weil ich auch von anderen Eltern den Eindruck hatte, dass es eigentlich immer schiefgeht, wenn man sich zu protektiv dem ganzen Thema nähert und zu überempfindlich ist, als wenn man mit einer gewissen Entspanntheit versucht, das zu meistern. Das Kind soll sich möglichst wenig verletzen und viel Spaß haben und man selbst möglichst wenig in Hektik dabei verfallen. Trotzdem, auch wenn es ein scheinbarer Widerspruch ist, merke ich an mir selbst, wie viel Gedanken ich mir über Dinge mache, die zuvor – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben: Viel mehr um Finanzen als früher, einfach auch, um für die Zukunft sicher zu sein, über Straßenverkehr, über an der Ampel stehenbleiben und generell eben um Emmas Wohlergehen und um unsere Zukunft.

Wie alt ist Deine Tochter heute? Was schätzt Du an ihr?

Emma ist mittlerweile zweieinhalb Jahre. Ich finde, sie hat überraschend früh ihren Humor entwickelt und das schätze ich am meisten an ihr. Wir können gut miteinander Quatsch machen und sie übernimmt dabei auch gerne mal die Initiative. Was ich besonders mag, ist, wie sie bei Kinderliedern improvisiert. Etwas, was ich an der Band „Die Ärzte“ immer gemocht habe ist, wie die bei Live-Auftritten bekannte Songs nochmal umgetextet haben. Und im Grunde macht Emma sowas auch, nur eben mit Kinderliedern. Das unterhält mich sehr und macht mir großen Spaß. Meiner Meinung nach ist Humor auch ein Zeichen von Intelligenz. Wie sie Humor einsetzt und wie schnell sie verstanden hat, warum etwas lustig ist, das macht mich auch nochmal sehr stolz auf sie.

Was war anstrengend und ist es bis heute?

Wechselnde Dinge. Am Anfang ist es anstrengend, weil man bei jeder Berührung Angst hat, etwas kaputt zu machen. Dann ist es anstrengend, weil der durchgängige Schlafrhythmus fehlt, wobei wir mit Emma wahnsinniges Glück hatten und sie ihr Leben lang durchgeschlafen hat. Mittlerweile hat sie ihre eigene Meinung zu verschiedenen Dingen entwickelt: Welche Socken, welche Hosen man anzieht, was es jetzt zu essen gibt, wann man ins Bett geht. Es geht jetzt also nicht mehr so um Grundbedürfnisse, sondern sie hat mittlerweile einen eigenen Willen und Standpunkt und ich gegebenenfalls einen anderen. Im Rahmen der Möglichkeiten versuche ich auch ihren Willen zu respektieren, beispielsweise bei der Sockenwahl, da ist es mir dann tatsächlich egal. Bei der Schuhwahl wird es eventuell schon schwieriger, weil, wenn es draußen regnet, kann ich ihr eben nicht die kleinen Sneaker anziehen. Da kann sie schon vehement zum Ausdruck bringen, wenn sie etwas nicht richtig gut findet. Und eine Zeitlang war tatsächlich das Bettgehen das Schwierigste. Wenn man damit am Abend eineinhalb Stunden zubringt, bleibt einfach nur sehr wenig Zeit für sich selbst oder für das Elternpaar und das kann neben dem Berufsalltag schon ziemlich schlauchen.

Du hast Elternzeit gemacht. Wie war die Erfahrung?

Ich habe direkt nach der Geburt Elternzeit genommen. Das war einerseits wichtig, um meine Frau zu entlasten und auch, um das Baby kennenzulernen. In den ersten beiden Wochen hatte ich das Gefühl: Oh Gott, wie soll ich hier jemals wieder wegkommen, das funktioniert alles noch überhaupt nicht und ich kann nicht fehlen als Teil dieser Organisation. Ab der dritten Woche hatte sich das dann glücklicherweise schon so gut eingespielt, dass ich das Gefühl hatte, meine Frau und Emma kriegen das auch so gut hin und alle finden in ihre Rollen. Die zweite Elternzeit hatte ich nach einem Jahr und das war extrem cool, weil das Kind dann schon einiges kann und man wächst nochmal enger zusammen. Es ist auf jeden Fall großartig, als Vater Elternzeit haben zu können.

 Hattest Du das Gefühl, im Job etwas zu verpassen oder dass Deine Stellung bedroht sein könnte und wie waren die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen?

Eigentlich war das gar kein Thema und völlig klar, dass ich Elternzeit nehmen würde. Ich war bei uns in der Abteilung nicht der erste, der Vater geworden ist und bei uns war das einfach schon so drin, dass man das als Vater macht und dass es auf jeden Fall ein Teil davon ist.
Ich hatte auch im Vorfeld nie das Gefühl, dass meine Stellung da in irgendeiner Form angetastet werden könnte während dieser Zeit. Was während der Elternzeit ein Unterschied war, zu dem, wenn ich Urlaub habe: Ich habe mich während der Elternzeit wirklich überhaupt gar nicht mit der Arbeit befasst, auch nicht mit irgendwelchen Mails, sondern mich völlig auf dieses Abenteuer Familie eingelassen.

Du bist als Person sehr zentral im Team verankert. Wie hast Du Kontakt in dieser Zeit gehalten? Und wie war die Rückkehr?

Ich habe immer mal wieder mit einzelnen über WhatsApp oder über unsere Teamgruppe geschrieben. Ich musste mich immer bemühen, dass ich nicht eines dieser Elternteile werde, die alle zehn Sekunden ein Bild von ihrem Kind irgendwo hinschicken. Und das ist sehr anstrengend, diesen Impuls zu unterdrücken. Unser Team ist im Schnitt relativ jung, ein paar mit Kindern, ein paar ohne. Viele Gespräche drehten sich nach der Rückkehr zuerst um das Kind, aber ich habe mir auch Mühe gegeben, in „kinderlosen“ Gesprächsrunden nicht dauernd nur von meiner Tochter zu erzählen. Auch in „gemischten“ Gesprächsrunden war es mir wichtig, dass nicht alle den Eindruck bekommen, dass ich jetzt nur noch Vater bin und gewissermaßen nicht mehr „ich“. Es haben sich alle sehr mitgefreut, waren total positiv und einfach neugierig, wie es jetzt so ist. Wir haben im Vorfeld sehr viele, sehr rührende Geburtsgeschenke bekommen. Sowohl vor der Geburt, als auch danach war das, was das Team und den Job betrifft einfach perfekt. Ich könnte mir das echt nicht noch besser vorstellen.

Fühlst Du Dich gut unterstützt, was „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ angeht? Von DATEV? Vom Staat? Gibt es etwas, was Du Dir an Unterstützungsangeboten wünschen würdest?

Spontan fällt mir da tatsächlich nichts ein. Ich habe das Gefühl eines Rundum-Sorglos-Pakets. Wir konnten bei DATEV schon vor der Pandemie mobil arbeiten, was ich vor der Geburt nie gemacht habe, dann ab und zu und seit einem Jahr jetzt eben ausschließlich. Und da hat man zwischendurch während des Tages auch immer wieder die Möglichkeit für Papa-Kind-Zeiten und mal einen kleinen Spaziergang, weil man die Arbeit besser über den kompletten Tag verteilen kann. Was DATEV uns als Eltern bietet, dass man zur Geburt eines Kindes noch Geld von der Firma bekommt, finde ich auch krass. Ich meine, es war jetzt nicht die größte Leistung, dieses Kind in die Welt zu setzen und wenn, hat meine Frau den größeren Anteil daran. Und dass uns dafür die Firma nochmals ein Geschenk macht, finde ich echt einen wahnwitzigen Benefit.

Wie schafft man es als Familie, in der Pandemie- und gleichzeitiger Lockdown-Situation, sich gegenseitig nicht komplett auf den Zeiger zu gehen, sofern man es schafft?

Sehr gute Frage. Wenn Du die Antwort darauf kennst, verrat sie mir bitte (lacht). Ich glaube, wir haben einfach das Glück, dass Emma ein extrem pflegeleichtes Kind ist. Sie hat noch nie wirkliche Probleme gemacht, sie ist nicht launisch und weint nicht viel. Sie kann sich auch gut selbst beschäftigen. Natürlich gibt es immer mal einen Tag, an dem sie nicht so gut drauf ist, aber das ist ja bei uns Erwachsenen genauso. Darauf muss man sich eben einstellen. Und wenn man das macht, muss man sagen, dass wir einfach auch gerade extrem gut miteinander klarkommen.

Sebbo, herzlichen Dank für das Gespräch.

Emmas erste Schritte auf dem Fußballplatz – sie besucht Sebastian beim Training. Aufgenommen von einem Paparazzi.

Hier schreibt für euch:

Michael Öchsler

ist seit September 2019 mit an Bord bei DATEV und kümmert sich mit um die Kommunikation von HR-Themen wie Personal und Karriere. Der Kommunikationswissenschaftler hat zuvor bereits berufliche Erfahrungen im Bereich Unternehmenskommunikation und Marketing gesammelt. Seine Freizeit verbringt er am liebsten in den Alpen, wo er im Sommer Hügel erklimmt, um sie im Winter auf zwei Brettern hinab zu brettern (zwischendurch ist er auch mal hier).