Interview mit Azuka Mordi

Agilität als Wandel zu „mehr Mensch, weniger Maschine“

von am Freitag, 26 März 2021
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Agilität ist heutzutage ein Buzzword, aber wenige wissen wirklich, wofür agile Konzepte stehen. Agile Methoden können einem Unternehmen viele Vorteile bieten. Wie kann man Agilität erfolgreich umsetzen und auf die ganze Organisation skaliert werden? Diese Fragen wurden im Interview mit Azuka Mordi, einem Forscher im Bereich Agilität, diskutiert.

Herr Mordi, warum arbeiten immer mehr Unternehmen agil?

Ein bedeutender Grund für agile Methoden in der Unternehmenspraxis könnte sein, dass Vorteile der agilen Arbeit wahrgenommen werden, wie schnellere und bessere Projektergebnisse, größere Kundenzufriedenheit sowie finanzielle Vorteile. Darüber hinaus dürften auch mitarbeiterbezogene Faktoren wie höhere Motivation und mehr Zufriedenheit eine Rolle spielen. Viele Firmen beobachten, dass andere Unternehmen und Wettbewerber, die agile Konzepte implementieren, erfolgreich sind. Diese Konzepte bewähren sich in der Praxis und sind erfolgsversprechend. Einige Unternehmen lassen sich möglicherweise von dem Buzzword Agilität anstecken und folgen lediglich einem Trend, ohne sich wirklich damit auseinanderzusetzen. Ein Teil der Anziehungskraft von Agilität liegt sicherlich auch darin, dass es positive Veränderungen für alle Beteiligten bereithält, wenn es richtig umgesetzt wird. Das bedeutet, dass nicht nur einer kleinen Gruppe von Entscheidern Vorteile gewährt werden, sondern dass viele Stakeholder einen Nutzen daraus ziehen können.

Welche Rolle spielt der Mitarbeitende beim Thema Agilität?

Wie bereits angedeutet, ist es wichtig, sich über Begriffe und deren Inhalte Gedanken zu machen, da Agilität zunächst einmal ein Label ist, worunter vieles verstanden werden kann. Eine einheitliche übergreifende Definition existiert nicht. Wenn Agilität richtig verstanden wird, spielt der Mitarbeitende eine zentrale Rolle. Vereinfacht gesagt, sind agile Konzepte eine Art neues Modell der Zusammenarbeit. Es stellt Menschen und deren Besonderheiten in den Vordergrund und versucht in einem stetig laufenden Prozess aus Reflexion, Lernen und Anpassung, sich an die sich ändernde Umgebung anzupassen. Es ist aber auch wichtig, zu betonen, dass alle Konzepte je nach Situation Vor- und Nachteile haben und sich manche Mitarbeitenden erst in die neuen Modelle hineinfinden und anpassen müssen. Es handelt sich um einen Change-Prozess, bei dem die Mitarbeitenden und die gesamte Organisation neue oder veränderte Positionen einnehmen. Wenn Agilität richtig umgesetzt wird, kann eine große Menge an Energie bei Mitarbeitenden freisetzen, was sich wiederum positiv auf die gesamte Organisation und die Kunden und Kundinnen auswirkt. Agilität ist ein Wandel hin zu „mehr Mensch, weniger Maschine“, bei dem Eigenverantwortung und Partizipation bedeutend sind. Das ist ein Grund, warum Agilität für viele sehr reizvoll ist.

Worauf ist bei der agilen Skalierung zu achten? Wie können andere Abteilungen neben IT von agilen Methoden profitieren?

Wenn man als Organisation agil werden möchte, gehört eine Skalierung agiler Konzepte unweigerlich dazu, da Agilität als Gesamtkonzept zu verstehen ist. Skalierung wird in diesem Zusammenhang als koordinierte Verbreitung und Ausdehnung von agilen Praktiken in einer Organisation verstanden. Man geht hier von einzelnen Projekten oder Keimzellen hin zu weiteren Projekten, Bereichen und Ebenen, bis hin zur gesamten Organisation aus. Wichtig ist, dass sich Unternehmen darüber wirklich klar werden, Selbstbild, Werte und Ziele reflektieren, ein schlüssiges Konzept erarbeiten und eine sinnvolle Transformation umsetzen. Dies muss individualisiert für jede Organisation erfolgen. Es gibt da kein „One-Type-Fits-All“ oder eine einfache Light-Version für den schnellen Einsatz. Organisationen sollten geduldig und gründlich sein und nicht vorschnell zu beworbenen Skalierungs-Frameworks greifen. Diese werden schließlich von kommerziellen Anbietern vertrieben, die ein starkes finanzielles Interesse haben, ihr Produkt zu verkaufen. Mitunter haben sie als Firma dann schöne Zertifizierungen und benutzen das Label „agil“, aber im Grunde erzielt man damit nur kleine Verbesserungen und keine wirkliche Agilität. Agilität gibt es nicht als schnelle Kopie, sondern nur als ganzheitlichen Ansatz mit meist tiefgreifendem Wandel. Das erfordert Zeit und kann nur gesamtkonzeptionell erfolgen, mit oder ohne Skalierungs-Framework.

Es ist ein gutes Zeichen, dass sich viele Firmen mit Skalierung beschäftigen, ein positiver Schritt hin zu agilen Organisationen. Auch wenn agile Methoden aus der IT stammen, sind sie in anderen Bereichen anwendbar. Im Prinzip können Projekte und Prozesse in vielen verschiedenen Abteilungen, Branchen und Umgebungen von Agilität profitieren, beispielweise in öffentlichen Verwaltungen. Grundsätzlich sind agile Konzepte überall denkbar. Je nach Umgebung und Kontext können diese dann angepasst und individualisiert werden. Das heißt aber nicht, dass es nur agil sein muss. Letztlich sind für alle Bereiche und Organisationen, groß oder klein, die Vorteile von Agilität interessant und relevant.

Woran scheitern Unternehmen Ihrer Erfahrung nach, wenn sie agile Methoden umsetzen möchten? Welche Gründe kann das haben?

Häufig sind die Gründe vielschichtig und tieferliegend als auf den ersten Blick erkennbar und sicherlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Ein möglicher Grund für ein Scheitern (je nachdem wie man Scheitern definiert) könnte sein, dass es falsche Erwartungen und Vorstellungen darüber gibt, was Agilität bedeutet und welche Auswirkungen sie auf allen Ebenen einer Organisation hat. Es gibt einen Unterschied zwischen agil handeln und agil sein. Dabei stellt agil sein das eigentliche Ziel dar und bedeutet viel Veränderung in den Strukturen. Einige Firmen wollen ein bisschen mitmachen, mit dem Trend gehen, aber nicht zu viel verändern. Dabei setzen sie agile Methoden nicht konsequent um und schaffen dadurch neue Probleme und verbrannte Erde. Agile Konzepte funktionieren nur in einer entsprechenden Umgebung nachhaltig. Oft werden aber Systeme, Strukturen, Denkmuster und Organisationskultur nicht angepasst. Das Problem ist nicht neu, das gab es auch schon vor dem Thema Agilität.

Der Mensch spielt bei dieser Veränderung eine zentrale Rolle. Für viele wird Veränderung als Bedrohung wahrgenommen oder sie sind von vorheriger schlechter Erfahrung geprägt und resignieren innerlich, weil sie denken: „Naja, mal wieder alter Wein in neuen Schläuchen!“. Zu den Besonderheiten und Herausforderungen der Umsetzung von Agilität kommen zudem mögliche generelle Fehler bei Change-Prozessen hinzu: Schlechte Kommunikation oder kein Einbinden der Mitarbeitenden. Dennoch sollte man nicht vorschnell einen Transformationsprozess als Misserfolg betrachten. Es braucht Geduld und gutes Erwartungsmanagement. Mit einer positiven Einstellung, Mut, ehrlichem Veränderungswillen und einer guten Umsetzungsstrategie ist für Organisationen eine erfolgreiche Transition möglich.

 

Über unseren Interviewpartner:

Azuka Mordi studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin und hat weltweit für eine international tätige Unternehmensberatung gearbeitet. Sein Schwerpunkt lag dabei in den Bereichen Produktentwicklung und Projektmanagement. Er ist unter anderem zertifizierter Scrum Master und Projektmanager (PMP).
Seit 2018 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Universität Hohenheim. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Agilität, agile Transformation und Informationstechnologie.