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Über Quereinsteiger in der Softwareentwicklung

„Sieh die Chancen!“

von am Mittwoch, 24 Februar 2021
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Noch ist das angebrochene Jahr halbwegs frisch und noch sind nicht alle Neujahrsvorsätze über Bord geworfen. Rauchen? Lassen wir besser mal sein. Weniger Alkohol ist gesetzt und mehr Sport und Bewegung selbstredend. Ein Jahreswechsel lädt auch stets zur inneren Inventur ein. Passt das noch so, dort, wo ich gerade stehe? Oder sollte sich doch etwas ändern? Gerade auch mit Blick aufs berufliche Spielfeld ist der Jahresbeginn ein guter Zeitpunkt, um Weichen neu oder anders zu stellen.

Zwei DATEV-Kollegen, die genau das vor geraumer Zeit getan haben, sind Thomas Müller und Dr. Jonas Rende. Sie haben ihre alten Jobs an den Nagel gehängt und diese gegen Karrieren im Bereich der Softwareentwicklung eingetauscht. Welche Erfahrungen sie damit gesammelt haben, ob sie es je bereuten und was sie anderen möglichen Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern raten: Wir haben uns mit ihnen unterhalten.

Gerade Krisenzeiten beschleunigen das Thema berufliche Umorientierung, gerade in Richtung IT-Branche. Ein guter Plan?

Tom: Ich weiß gar nicht, ob man das so pauschal beantworten kann, das ist ja immer sehr individuell. Wenn ich auf mein eigenes Leben blicke, ist es so, dass ich zuvor in der Baubranche tätig war und sich die dort für mich bereits im Jahr 2000 angedeutet hatte und ich zu dem Zeitpunkt begonnen habe, darüber nachzudenken, wie es für mich weitergehen soll. 2002 hatte sich gerade die IT-Branche aus einem Tal, der Dotcom-Blase, erholt und ich habe meine Fühler in diese Richtung ausgestreckt und eine Umschulung begonnen. Ich habe mich schon früh für Computer begeistert und war neugierig darauf, wie Computerprogramme entwickelt werden. Als ich 2003 mit der Umschulung fertig geworden bin, wurde die Baubranche gerade heftig von der Krise eingeholt. Es gab Umsatzeinbrüche von bis zu 25 Prozent, Beschäftigungsverhältnisse wurden gekündigt, die Arbeitslosigkeit stieg. Insofern scheine ich einen guten Zeitpunkt abgepasst zu haben. Deshalb macht es aus meiner Sicht grundsätzlich Sinn, in Krisenzeiten über andere Optionen nachzudenken. Ich möchte aber auch jeden, der sich auch außerhalb von Krisen mit dem Gedanken beschäftigt, ob man in seinem Leben etwas verändern möchte oder ob man gerade damit zufrieden ist, dazu ermutigen, den Gedanken weiterzudenken.

 

Jonas: Gerade in Krisenzeiten ist die Branche der Wissensarbeit und IT im Besonderen sehr, sehr stark und es lohnt sich gewiss, darüber nachzudenken. Beispielsweise auch, was die Home-Office-Möglichkeit angeht. Aber generell hängt es natürlich sehr stark von persönlichen Faktoren ab.

 

Wenn man mit dem Gedanken spielt, in die IT-Branche zu wechseln, wie kriegt man da überhaupt einen Fuß in die Tür? Was könnte der erste Schritt sein? Lernt man aufs geradewohl eine Programmiersprache und wenn ja, welche?

Jonas: Was für mich zu Beginn am Wichtigsten war, war mir ein konkretes Projekt zu suchen. In meinem Fall war das meine Promotion, mein erster Einstieg in die Programmierung. Es kann aber thematisch auch etwas ganz anderes sein, beispielsweise eine Heimautomatisierung, die erste eigene Website oder der Versuch, Corona-Daten auszuwerten. Was es konkret ist, ist letztlich egal. Hauptsache, man hat ein eigenes Projekt, an dem man arbeiten möchte. Die Technologie ist beim ersten Schritt relativ nebensächlich. Ich bin selbst Data Scientist mit Statistikschwerpunkt und wenn man an eine Programmiersprache denkt, liegt Python auf der Hand. Gerade aus Data Science-Sicht ist das die Nummer 1-Sprache zum Einsteigen: sehr flexibel, im Vergleich zu anderen Programmiersprachen sehr niederschwellig und es gibt ein sehr gutes Selbstlernangebot auf den Plattformen.

 

Tom: Ich könnte mir vorstellen, dass ein Einstieg über Communities ein guter Weg sein kann. Dort kann ich Menschen kennenlernen, die bereits in den Berufsbildern tätig sind und mit ihnen in den Austausch gehen. DATEV zeigt ja sehr schön, dass ein großes IT-Unternehmen nicht nur aus Programmierern, Data Scientists oder Menschen wie mir, die sich mit Datenschutz- und Informationssicherheit beschäftigen, besteht, sondern es weitere Rollen gibt. Wir haben auch Scrum Master oder UX Designer bei uns – das sind Rollen, für die Programmierung nicht Voraussetzung ist, um in der IT-Branche zu arbeiten und kreativ in der Denkarbeit unterwegs zu sein. Wir als DATEV bieten zudem weitere Kontaktmöglichkeiten: Ich denke da beispielsweise an unsere DigiCamps  und weitere Dialogformate.

Was muss man an persönlichen Dingen mitbringen, um den Umstieg in den IT-Bereich zu schaffen?

Jonas: Die Branche ist einfach superagil, was beispielsweise neue Programmiersprachen angeht. Gerade auch in meinem eigenen Fachbereich, bei Data Science, passiert alle paar Monate etwas Spannendes, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Deshalb: Leidenschaft zum lebenslangen Lernen, Veränderungsbereitschaft und ein gewisses Troubleshooter-Gen, also die Affinität zum Problemlösen.

Haben Quereinsteiger eine reelle Chance oder werden sie belächelt?

Tom: In meinem eigenen Quereinstieg bin ich von Anfang an geschätzt worden. Menschen mit Begeisterung für ein gemeinsames Thema finden immer eine gemeinsame Kommunikation und Wertschätzung füreinander. Auch wenn ich am Anfang mit einer für mich neuen Art der Kommunikation und Fehlerkultur ab und zu in ein Fettnäpfchen getreten bin, hat man mir immer wieder die Hand gereicht. Das erlebe ich auch heute so in der DATEV-Kultur, dass wir eine tolle Wertschätzung gegenüber Menschenzeigen, die bei uns quereinsteigen. Das Wissen, das man aus anderen Branchen mitbringt, bereichert ja auch wiederum die Projekte bei uns.

 

Jonas: Jedes professionelle Softwarehaus akzeptiert Quereinsteiger. Letztlich kommt es nur auf die Erfahrung und die Offenheit für lebenslanges Lernen an.

Online stößt man immer wieder auf Angebote: „In zwölf Wochen zum IT-Experten“ – ist das überhaupt möglich?

Jonas: Das ist ein bisschen so, wie wenn man den Führerschein gemacht hat. Auch dann ist man nicht unmittelbar danach ein fantastischer Autofahrer. Ich glaube, zwölf Wochen können als Einstieg dienen, um einen roten Faden durch die IT-Landschaft zu bekommen und für sich selbst herauszufinden: Was gibt es denn überhaupt alles und was davon könnte mir Spaß machen? Ansonsten denke ich, dass Programmieren von der Praxis lebt, vom Ausprobieren, vom selbständigen Lösen von Problemen. Da haben wir noch gar nicht vom Erlernen von theoretischen Konzepten gesprochen und das kostet einfach erstmal Zeit. Unser eigenes DATEV-Programm „Becoming a Software Engineer“ dauert 16 Monate und auch da gibt’s nicht den Anspruch, dass man hinterher der beste Software-Entwickler auf dem Planeten ist, sondern dass man damit ein solides Grundlagengerüst an die Hand bekommt, um einsteigen zu können. Und von dort aus geht’s dann wiederum weiter in Spezialisierungsrichtungen. Und dabei ist es wichtig, die Menschen zu begleiten und zu führen.

Was gibt es denn über diese Turbo-Kurse hinaus aus Eurer Sicht an Angeboten, die lohnenswert sind?

Jonas: Bei Studiengängen sollte man sich die Frage stellen, ob man eher der Praktiker oder eher der Theoretiker ist, das ist schon mal eine grundsätzliche Weichenstellung. Ansonsten, im Bereich Informatik oder auch bei Data Scientists gibt es Learner Degrees, das sind kleine Teilstudiengänge, die einen praktischen Fokus haben und auch in der Industrie anerkannt sind. Ansonsten die klassischen Plattformen: LinkedIn Learning ist nicht schlecht, Coursera ist ganz gut, Udacity, Jetbrains, Pluralsight, gerade für praktisches Programmieren. Die Angebote waren nie so groß wie im Moment und Corona befeuert das gerade auch noch.

 

Tom: Ich hatte ja schon die offenen Communities angesprochen und für Franken ist das beispielsweise die User Group Dodnedder. Man beschäftigt sich dort mit verschiedensten aktuellen Technologien, Entwicklungsverfahren oder auch mit der Arbeit in IT-Unternehmen. Aus dieser Usergruppe heraus wird einmal jährlich eine große Konferenz veranstaltet, der .Net Day Franken. Auf solchen Events lassen sich erste Verbindungen knüpfen. Da gehört auch immer etwas Mut dazu, dort präsent zu sein, das weiß ich auch noch selbst. Man ist in einem völlig neuen Thema drin, man weiß gar nicht, wie die Menschen dort ticken. Ich kenne aber keine Veranstaltung, bei der irgendjemand weggeschoben wurde oder es hieß: Was willst Du denn hier? Deswegen: nur Mut!

Was muss man mitbringen, um wirklich den Schritt zum Umstieg zu vollziehen?

Tom: Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich jeden nur bestärken, konsequent dran zu bleiben. Als ich 2002 in der Umorientierungsphase war, hatte ich eine Anzeige von einem privaten Bildungsunternehmen in Nürnberg mit einer Umschulungsmaßnahme zum Softwareentwickler entdeckt. Diese Maßnahme hat damals 12.000 Euro gekostet. Mit dieser Anzeige bin ich zu meinem Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt. Und die Reaktion war: Sie sind ja nur Handwerksmeister. Warum sollten Sie so eine teure Ausbildung bekommen? Daraufhin habe ich direkt bei dem Bildungsunternehmen angerufen und gesagt: Ich will das, ich habe Lust darauf und ich bin motiviert. Was kann ich tun? Und daraufhin hat der Chef von diesem Bildungsanbieter beim Arbeitsamt angerufen und  klargemacht, dass ich an dieser Umschulung teilnehmen kann. Also nicht gleich entmutigen lassen, sondern dranbleiben und dafür kämpfen, das ist ganz wichtig.

Habt ihr den Schritt jemals bereut?

Tom: Nie nachhaltig. Ich habe meinen ersten Beruf auch aus und mit Leidenschaft gemacht. Aber ich kann es gut nachvollziehen, wenn im neuen Job oder in der Ausbildung Fragen aufkommen wie: Oh Gott, warum hab ich das alles nur getan? Ich glaube, diese Momente gibt es einfach. Aber gerade während solcher Durststrecken zählt das, was mein Chef immer zu mir sagt: „Sieh die Chancen!“

Was mögt Ihr denjenigen mit auf den Weg geben, die mit dem Gedanken liebäugeln, umzusteigen?

Tom: Ein solcher Karriereschritt sollte nicht als Experiment betrachtet werden. Der Glaube daran, in einen neuen Bereich einzusteigen, viel dafür im Privatleben zu bewegen und auch Opfer für das Thema zu erbringen – und am Schluss wieder in das Gewohnte zurückzufallen, mit diesem Gedanken sollte man nicht spielen. Man sollte es dann angehen, wenn man das Gefühl hat, dass man sich durch diesen Schritt auch ein Stück in seinem Leben weiterentwickelt.

 

Jonas: Was mir immer bei dem Thema im Hinterkopf bleibt ist die Rede von Steve Jobs an der Stanford University. Dieser Ausspruch „stay hungry, stay foolish“, das bringt es für mich sehr gut auf den Punkt. Dranbleiben, nicht aufgeben, auch mit Rückschlägen umgehen – und der Wechsel wird auch Rückschläge mit sich bringen, denn schließlich ist erstmal alles neu für einen. Gerade auch der zweite Teil des Zitats, das „stay foolish“ erscheint mir wichtig: Probier Sachen aus, auch wenn Dir fünf Leute sagen, dass es nicht funktioniert. Also, dieses „sich-trauen“, Dinge zu testen. Im schlimmsten Fall funktioniert es nicht, aber wenn man es nicht ausprobiert hat, weiß man es auch nicht.

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Hier schreibt für euch:

Sinah Titzmann

ist 2019 als Social Media Managerin bei DATEV eingestiegen.

Michael Öchsler

ist seit September 2019 mit an Bord bei DATEV und kümmert sich mit um die Kommunikation von HR-Themen wie Personal und Karriere. Der Kommunikationswissenschaftler hat zuvor bereits berufliche Erfahrungen im Bereich Unternehmenskommunikation und Marketing gesammelt. Seine Freizeit verbringt er am liebsten in den Alpen, wo er im Sommer Hügel erklimmt, um sie im Winter auf zwei Brettern hinab zu brettern (zwischendurch ist er auch mal hier).