Interview mit Julian Dreykorn

Mit Braille und Code durch die Ausbildung

von am Montag, 7 Juni 2021
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Etwa 80 Prozent unserer Sinneseindrücke werden über unsere Augen an das Gehirn vermittelt. Man kann sich kaum vorstellen auf diesen Sinn verzichten zu müssen. Manche von uns müssen es aber. Julian ist einer unserer Azubis im ersten Lehrjahr und absolviert eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Er wurde blind geboren und erzählt uns heute wie sein Alltag in der Ausbildung aussieht und welchen Herausforderungen er sich stellt.

Wie bist du auf die Ausbildungsstelle bei DATEV aufmerksam geworden?

Ich habe mehrere Berufsmessen besucht und mich dort vor allem nach einer Fachinformatiker-Ausbildung umgeschaut. DATEV ist auf solchen Messen gut vertreten und so habe ich mich dort an den Ständen über die Ausbildung informiert und mit ein paar Azubis gesprochen, die die Ausbildung gerade absolviert haben. Auch in meinem Umfeld habe ich sehr viel Gutes über DATEV gehört und dann habe ich mich einfach beworben.

Wie lief der Bewerbungsprozess ab?

Ich habe online die Bewerbung ausgefüllt, Anschreiben und Lebenslauf hochgeladen und abgeschickt. Dann hatte ich zuerst ein Telefoninterview und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Das war im Oktober 2019. Am gleichen Tag habe ich noch eine E-Mail bekommen, ob ich die Ausbildung zum September 2020 antreten möchte.

Warst du während deiner Ausbildung schonmal in einem der DATEV-Gebäude? Wie orientierst du dich im Büro?

Das erste Mal war ich bei einem Schülerpraktikum in einem der DATEV-Standorte. Das war sogar noch vor dem Vorstellungsgespräch, da habe ich schon mal einen groben Eindruck bekommen. Zwei Azubis aus dem Praktikantenteam haben sich im Vorfeld bereit erklärt, mir bei der Orientierung während des Praktikums zu helfen. Vor der Ausbildung hatte ich ein intensives Mobilitätstraining. Das hat man, wenn man blind ist, recht häufig. Dafür gibt es speziell geschulte Trainer, die sich gut auskennen. Meine Mobilitätstrainerin und meine spätere Ausbilderin sind dann mit mir in das Schulungszentrum und in den IT-Campus gegangen, damit ich mich dort gut orientieren kann. Während des Trainings hat sie mich auf verschiedene Dinge hingewiesen, an denen man sich am besten orientiert und worauf man achten kann, wenn man dort herumläuft. So habe ich schon mal eine grobe Orientierung bekommen, auch wenn ich seit November kaum noch da war.

Wie läuft so ein Mobilitätstraining ab?

Zuerst bespricht man, was alles trainiert werden soll und nach Möglichkeit auch, wo genau man im Gebäude hin muss. Dann trifft man sich und übt erstmal den Weg zum entsprechenden Gebäude. Wir haben damals mit der Strecke von der nächstgelegenen U-Bahnstation zum IT-Campus begonnen. Das übt man mehrmals bis es gut läuft und wenn man das kann, übt man im Gebäude. Trotzdem wird dann auch immer wieder der Hinweg wiederholt. Man trainiert aber auch nicht den ganzen Tag, sondern eher zwei bis drei Stunden und das an mehreren Tagen, in meinem Fall im Lauf von zwei Monaten vor der Ausbildung immer wieder. Anschließend schaut man sich den Aufbau des Gebäudes an. Es ist immer sehr hilfreich, wenn man sich im Kopf vorstellt wo man rauskommt, wenn man einen bestimmten Gang entlangläuft. Man läuft einfach alles ab und schaut wie man am besten zu den verschiedenen Zielen hinfindet, sei es jetzt der eigene Arbeitsplatz oder die Kantine.

Wie funktioniert die Arbeit mit dem Laptop?

Ich habe ein normales DATEV Notebook bekommen, der einzige Unterschied ist eine spezielle Software, die darauf installiert ist. Das ist ein Screen-Reader, der ermittelt, was gerade auf dem Bildschirm steht und mir das entsprechend darstellt. Einerseits kann ich das mithilfe einer angeschlossenen sogenannten Braillezeile lesen. Da wird der Text mithilfe von Stiften in der Punktschrift angezeigt und fühlbar gemacht. Dadurch kann man auch längere Texte gut lesen, weil man sich zeilenweise durchschaltet. Andererseits kann ich mir auch alles vorlesen lassen. Welche Möglichkeit man bevorzugt, ist bei jedem anders, ich persönlich lese Texte lieber selbst in Blindenschrift. Meistens arbeite ich ganz ohne das Vorlesen oder in Kombination. Die Sprachausgabe nutze ich vor allem wenn ich etwas suche, aber sobald ich das Richtige gefunden habe lese ich es selbst. Ich habe das Gefühl, dass ich mir etwas besser merken kann, wenn ich es selbst lese statt es mir vorlesen zu lassen. Ohne Stimme könnte ich auch gut arbeiten, aber ohne Zeile geht’s bei mir nicht. Schwierigkeiten begegnen mir vor allem dann, wenn ein Dokument Bilder enthält, für die keine Alternativbeschreibung hinterlegt wurde. Dann sehe ich höchstens, dass es ein Bild ist, aber nicht was es enthält.

Wie läuft ein typischer Arbeitstag bei dir ab?

In meiner Heimatabteilung, in der ich seit November bin, habe ich bis jetzt nur im Homeoffice gearbeitet. Morgens habe ich mit meinem Fachausbilder eine Besprechung wie es mir geht, wie weit ich gekommen bin und woran ich aktuell arbeite. Dann haben wir ein Team-Daily und entsprechende Meetings und ansonsten arbeite ich an verschiedenen Projekten, die wir in der Abteilung zur Entwicklung von APIs, also Schnittstellen, bearbeiten. Ich sehe meinen Arbeitsalltag als recht typisch an. Wenn man wieder in die Standorte kommen kann, wird es vor allem dann schwierig, wenn ich in ein anderes Gebäude muss, zu dem ich den Weg nicht trainiert habe. Wenn man mal zu einer Präsenzschulung muss, trifft man oft Azubis aus dem gleichen Lehrjahr, die ja die gleiche Schulung besuchen und zusammen hin und zurück geht, dass ist dann schon einfacher für mich und ich muss mich weniger konzentrieren.

Wo unterstützt dich DATEV und wo könnte DATEV noch besser werden? Was würdest du dir wünschen?

Es gibt schon sehr viel Unterstützung. Der tägliche Termin mit meinem Fachausbilder ist auf jeden Fall hilfreich, da gibt es immer irgendwas zu besprechen. Mir gefällt auch generell die Ausbildung und dass man einen Ansprechpartner hat, auf den man immer zugehen kann, wenn man etwas braucht oder eine Frage hat. Von der Diversity- und Inklusionsbeauftragten von DATEV habe ich schon vor dem Ausbildungsstart viel Unterstützung bekommen. Ich bin auch nicht der einzige Blinde, der bei DATEV arbeitet und die anderen haben mir oft geholfen. Es ist sehr positiv aufgefallen, dass ich von vielen Seiten sehr offene Unterstützung bekommen habe und bekommen werde, wenn ich sie brauche. Es gibt auch eine Community of Practice – Inklusion, in der sich sehr viel mit Barrierefreiheit beschäftigt wird und wie man DATEV noch barrierefreier machen kann. Beispielsweise können wir mit unserem Mitarbeiterausweis in der Kantine bezahlen, aber das Aufladen des Ausweises ist bislang noch nicht barrierefrei möglich. Da wurde über verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Bei DATEV wird schon sehr viel getan und mir fällt aktuell nichts ein, wo ich noch Verbesserungsbedarf sehe.

Wie funktioniert das in der Berufsschule? Ist das eine besonderer Herausforderung?

Dadurch, dass der Unterricht aktuell online stattfindet, funktioniert es ganz gut. Die Lehrer müssen ihre Materialien sowieso digital erstellen und verteilen. Für mich, der ja nur am Computer arbeitet, ist das definitiv ein Vorteil. Wenn Materialien dann doch mal nicht gut aufbereitet sind, beispielsweise weil Bilder nicht beschrieben wurden, habe ich eine Schulassistenz. Die ist zwar nicht im Unterricht dabei, aber ich kann ihr die Dokumente schicken und sie bereitet sie für mich auf. Ansonsten habe ich mit dem Lernstoff keine Probleme.

Welche Hobbys verfolgst du in deiner Freizeit?

Ich mache sehr gerne Musik und spiele sowohl Klarinette als auch Orgel. Oft spiele ich in der Kirche und begleite den Gottesdienst. Aktuell besuche ich dafür auch einen Kurs zum D-Kirchenmusiker. Es gibt auch eine Punktnotenschrift, in der die Noten notiert werden. Die kann ich halbwegs gut lesen und erarbeite mir neue Stücke auch manchmal damit, aber meistens lerne ich Stücke nach Gehör statt nach Noten. Abgesehen davon mache ich auch gerne Sport, gehe schwimmen und klettere im Alpenverein.

Stimmst du dem Klischee zu, dass die anderen Sinne von blinden Menschen schärfer sind?

Das ist für mich schwer zu beurteilen, weil ich ja keinen Vergleich habe. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man sich mehr auf die übrigen Sinne konzentriert und vielleicht sind sie dadurch geschärfter. Ich kenne beispielsweise wesentlich mehr Blinde als Sehende, die ein absolutes Gehör haben, also gesungene oder gespielte Töne direkt identifizieren können. Manche geben auch Klickgeräusche von sich und merken durch das zurückgegeben Echo, ob ein Hindernis vor ihnen ist. Das wird zusätzlich zum Stock als Orientierungshilfe genutzt.

Einige Menschen wissen nicht, wie man sich einem blinden Menschen gegenüber verhalten soll, ob man demjenigen Hilfe anbieten soll oder man mit einer Frage seine Selbstständigkeit anzweifelt. Hast du dafür Tipps?

Ich freue mich schon, wenn ich Hilfe angeboten bekomme. Ich nehme das auch nicht persönlich. Wenn man das nicht will, kann man sich ja höflich bedanken und sagen, dass man zurechtkommt. Was ich manchmal erlebe ist, dass ich eigentlich richtig stehe und dann kommt jemand der mir unbedingt helfen will und mir sagt, ich müsste woanders hin. Und dann bin ich am Ende irgendwo, wo ich gar nicht hinmuss, weil ich vorher schon richtig war. Sowas ist schon doof. Mein Tipp ist, dass man vorher nachfragt, ob derjenige Hilfe braucht, ob man ihm helfen kann oder ob er etwas sucht. Nicht einfach machen was man denkt und das ist dann vielleicht das Falsche.

Unser Interviewpartner: Julian Dreykorn

Hier schreibt für euch:

Josefin Weinert

hat im September 2017 ihr Verbundstudium bei DATEV begonnen. Neben ihrer Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement studiert sie Betriebswirtschaft an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg. In ihrer Freizeit spielt sie in einer Theatergruppe, backt, liest oder widmet die Zeit dem Sport oder ihren Freunden.